Wenn die Spielsucht Kontrolle über das Leben erlangt

Nach offiziellen Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind in Deutschland bis zu 600.000 Menschen spielsüchtig. Betroffene führen nach außen hin oftmals ein ganz normales Leben – die Krankheit spielt sich im Verborgenen ab und ist das Symptom einer noch tieferliegenden seelischen Verwerfung. Seit 2012 kümmert sich in der Region Trier der gemeinnützige Verein „spielfrei24“ um Betroffene. Die selbst gestellte Aufgabe lautet, Spielsüchtige dabei zu unterstützen, dass sie die Krankheit akzeptieren und damit umzugehen wissen.

Thomas Patzelt wirkt aufgeräumt. Er hat sichtlich abgeschlossen mit dem, was ihn über vier Jahre fest im Griff hatte und sein Leben bestimmte. Von 2000 bis 2004 steckte er tief in der Spielsucht, verzockte in der intensivsten Phase bis zu 1.500 Euro am Tag. Unter dem Druck, sich permanent Geld für die nächste „Dosis“ zu beschaffen und der Bewahrung des äußeren Scheins litt sein Privatleben. Auf Kredite, die später nicht mehr gewährt wurden, folgte Beschaffungskriminalität, er fälschte Unterschriften und bediente sich fremder Konten. Äußerlich merkte man ihm nichts an. „Sie werden zum Meister der Manipulation. Wenn mich jemand fragte, wie es mir geht, hieß es immer: alles gut. Wie es wirklich in mir aussah, wusste nur ich“, erklärt der 46-Jährige.

Schleichender Prozess

Angefangen hatte es dabei ganz harmlos. Zwischen zwei Terminen schlug sich der damals erfolgreiche Außendienstler die Zeit in einem Spielkasino tot. Noch waren die Einsätze gering. Aus Neugierde wurde irgendwann Regelmäßigkeit, angeheizt von ersten Gewinnen wandelte sich der Automat immer mehr zum Lebensmittelpunkt. „Ich war damals erfolgreich, hatte Haus und Dienstwagen. Die Außenwirkung war perfekt. Doch emotional befand ich mich in einem Tief“, sagt er. Zu spielen sei für ihn ein Ventil gewesen, der Prozess zur Sucht ein schleichender. Als besonders gravierend empfand Patzelt den mit der Sucht einhergehenden Kontrollverlust. Rationale Denkweisen setzten aus, die psychologischen Tricks, mit denen die Hersteller ihre Automaten ausstatten, wirkten. Durch die Notwendigkeit, Knöpfe drücken zu müssen, suggerieren die Maschinen dem Spieler, dass er Einfluss auf das Spielergebnis hat. Thomas Patzelt weiß es heute besser: „Die Gewinne und Verluste sind vorgegeben. Das Spiel gegen den ‚Zufall‘ kann man nicht gewinnen.“ Als er 2004 die Notbremse zieht, war er hochverschuldet.

Therapie allein nützt nichts

Patzelt ging zur Beratungsstelle und begann einige Monate später eine achtwöchige Therapie in einer Fachklinik. Anschließend dauerte es noch ganze drei Jahre bis er endgültig spielfrei ist; wie das Erlernen des aufrechten Ganges sei ihm diese Zeit vorgekommen. Gleichzeitig reifte die Idee zur Gründung einer Selbsthilfegruppe für Glücksspielsüchtige heran, die Patzelt dann 2010 ins Leben rief. 2012 folgte mit der Etablierung des rheinland-pfälzischen Landesverbandes für Selbsthilfegruppen Glücksspielsüchtiger und des Vereins „Spielfrei24“ mit Sitz in Kordel die Professionalisierung. Acht Gruppen werden seitdem in der Region Trier angeboten, drei davon direkt im Trierer Stadtgebiet und jeweils eine in der Justizvollzugsanstalt und im Jugendgefängnis Wittlich. Die Beratung und Teilnahme an den Sitzungen ist dabei kostenlos. „Inoffiziell sprechen wir von rund einer Million Betroffene“, schätzt Patzelt und korrigiert damit die offizielle Zahl. Aus seiner langjährigen Erfahrung weiß er, dass die überwiegende Mehrheit davon männlich ist. Nach seiner Einschätzung liegt die Zahl bei circa 60 Prozent. Doch längst hat die Automatenindustrie auch die Frau als Zielgruppe entdeckt und neue Spiele entwickelt, die gezielt das weibliche Geschlecht ansprechen sollen. Zudem etabliere sich ein neues Spielotheken-Konzept „Frauen-Only“. Die Spielursachen unterscheiden sich dabei von denen der Männer: „Bei Frauen stehen oft Gewalterfahrungen im Mittelpunkt“, erklärt Patzelt.

Arbeit mit Profis

Ehrlichkeit und Offenheit sind die Basis, auf die die Arbeit in den sechs- bis achtköpfigen Selbsthilfegruppen aufbaut. „Bei uns bekommen die Betroffenen keine Lösung präsentiert“, gibt der Vereinsgründer zu bedenken. „Jeder Weg aus der Sucht ist individuell. Wir möchten die Selbsterkenntnis der Betroffenen fördern. Ziel muss es sein, dass der Hilfesuchende regelmäßig an den Sitzungen teilnimmt.“ Dabei ist es hilfreich, dass die Gruppen selbst von Betroffenen moderiert werden. Der Erstkontakt kann je nach Wunsch in einer der Gruppenräume oder extern im Vier-Augen-Gespräch stattfinden. Die Suchtprofis kommen dann je nach Bedarf begleitend ins Spiel; ohnehin kooperiert der Verein mit Hausärzten, Rechtsanwälten und Richtern. Der Einstieg in eine Gruppe wird flexibel gehandhabt. Üblicherweise steht diese am Ende der Kette Beratungsstelle-Fachklinik, jedoch ist der regelmäßige Kontakt jederzeit möglich und angedacht. Patzelt übt an diesem Abfolge-System auch Kritik: „Zwischen Antragstellung und Aufnahme in einer Fachklinik liegen im Schnitt sechs Monate. In dieser Zeit sollten die vielen anderen Baustellen des Betroffenen bearbeitet werden, damit ihn diese nach dem Klinikaufenthalt nicht wieder einholen und zurückwerfen.“ Darüber hinaus gäbe es eine sehr hohe Abbrecherquote, die nicht zuletzt auch an der mangelhaften Beherrschung der „Sprache der Glücksspielsüchtigen“ seitens der Therapeuten zustande käme. Dies meint, dass die akademische Herangehensweise zugunsten eines stärker persönlich geprägten Ansatzes abgeschwächt werden sollte.

„Die Sucht lässt einen nie los“, resümiert Thomas Patzelt. „Man muss sich jeden Tag neu entscheiden. Für mich gibt es heute aber viele andere Möglichkeiten, Glück zu empfinden.“

Weitere Informationen zum Verein gibt’s im Internet unter www.spielfrei24.de.